Urban Gardening

Erscheinungsdatum: 08.07.2019 | Text: Bettina Staffaneller (Zauner)

Ein globales Phänomen hält Einzug in Kärnten

von Bettina Staffaneller
KulturSpiegel 2014 | 3 | 36. Jahrgang

Weltweit steigt das Interesse der Menschen, selbst Gemüse, Obst, Kräuter oder Blumen in einem Garten anzupflanzen, mit ihren Händen in der Erde zu graben und die Verbundenheit mit der Natur zu (er)spüren. Vor allem die BewohnerInnen von Metropolen wie zum Beispiel New York, Berlin, Paris und Wien entdecken die Liebe zur Gartenarbeit.

Die individuelle oder regionale Selbstversorgung mit biologisch angebautem Obst und Gemüse stellt zwar einen zentralen, jedoch nur einen Aspekt von vielen dar. Oft geht es rein um die
Freude am Anbau und um die Befriedigung seelischer Bedürfnisse durch Gartenarbeit. Denn Gartenarbeit ist für viele eine bedeutende Quelle von Stolz, Zufriedenheit und Bestätigung des
eigenen Tuns. Und manchmal ist es schlicht das Bedürfnis, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, um der Anonymität der (Groß)Stadt zu entfliehen.

Gemeinschaftsgärten – Eine Alternative zu Schrebergärten 

Eine Möglichkeit, sich dem Säen und Jäten, Gießen und Ernten hinzugeben, bietet sich den StadtbewohnerInnen – abgesehen von den traditionellen Schrebergärten – in Gemeinschaftsgärten. Diese Bewegung der Gemeinschaftsgärten geht auf die Anfang der 1970er Jahre in New York gegründeten Community Gardens zurück. Auf Initiative von GhettobewohnerInnen ins Leben gerufen, um dem Verfall und der Zerstörung ihrer Nachbarschaft entgegenzuwirken, entwickelten sich diese Gärten rasch zu wahrhaft grünen Oasen
zwischen den Häuserschluchten. Mitte der 1990er Jahre wurde schließlich von Bund und Stadt offiziell anerkannt, dass die Community Gardens die Nachbarschaft verschönern, zu gesünderen Lebensbedingungen beitragen, die Luftverschmutzung durch Autoabgase reduzieren und den BewohnerInnen des jeweiligen Stadtteils Freude, Erholung und Ruhe bieten. In
Deutschland geht die erfolgreiche Bewegung der Community Gardens von Göttingen aus. Gegründet im Jahr 1996, entwickelte sich Göttingens Modellprojekt rasant weiter, stieß auf große
Nachfrage und fand Nachahmende in zahlreichen Städten Deutschlands, Österreichs und in der Schweiz. Die Datenbank der Stiftungsgemeinschaft anstiftung und ertomis verzeichnet derzeit 379 (davon 67 in Planung) Gemeinschafts- und Interkulturelle Gärten in ganz Deutschland. Der Verein Gartenpolylog listet im Moment immerhin 60 bestehende Gärten in Österreich
auf. In der Schweiz sind es 26 Interkulturelle Gartenprojekte laut dem Verein Interkulturelle Gärten.

Was ist ein Gemeinschaftsgarten?

Allgemein formuliert lassen sich gemeinschaftlich genutzte Gärten definieren als Orte, an denen sich Menschen treffen und sich der Gartenarbeit widmen. Im Vordergrund stehen in diesen Gärten nicht nur das Gärtnern und die Selbstversorgung. Meist geht es bei diesen gemeinschaftlich getragenen Projekten, die entweder von Personen aus der Nachbarschaft oder von
Vereinen gegründet werden, um das gemeinsame Arbeiten, die Mitgestaltung des Stadtviertels, die Möglichkeit der Partizipation innerhalb einer Gemeinschaft, die Entwicklung eines
Gemeinschaftssinns, den kommunikativen Austausch sowie das Kennenlernen von Menschen aus der Umgebung. Gemeinschaftsgärten sind somit Orte, an denen sich Menschen jeden Alters, Frauen und Männer, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und Einheimische begegnen und von- und miteinander lernen können. Die Gärten sind
Begegnungsraum und gleichzeitig Experimentierfeld. Experimentiert wird mit Pflanzen und Saatgut aus der alten Heimat. Erfolg oder Misserfolg geben den Zugewanderten dabei reichlich
Aufschluss über den Boden der neuen Heimat. Aber auch Formen des  Miteinanders werden erprobt. Christa Müller, die seit vielen Jahren für die Begleitforschung in den Interkulturellen
Gärten in Deutschland verantwortlich ist, bezeichnet diese Experimente auch als „soziale Experimente“. Denn sie liefern nicht nur Informationen über die Fruchtbarkeit des Bodens, sondern auch über die dort ansässigen Menschen. Die interaktiven Erfahrungen, welche die MigrantInnen in den Interkulturellen Gärten, die eine besondere Form der Gemeinschaftsgärten darstellen und sich v.a. durch die unterschiedliche Herkunft, Kultur, Ethnie und Religion der GärtnerInnen auszeichnen, sammeln können, fördern dabei die Neuverwurzelung in der neuen Heimat sowie die Eingliederung in eine Gesellschaft.

Das breite Spektrum der Gärten

Die Nutzfläche wird in den meisten Fällen von öffentlichen Trägern (Stadt, Kommune, Kirche etc.) kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr zur Verfügung gestellt. Die Bezeichnungen
der gemeinschaftlich genutzten Gartenflächen sind so vielfältig wie die Themenschwerpunkte der einzelnen Gärten. Sie werden bezeichnet als Community Gardens, Immigrantengärten,
Gemeinschaftsgärten, Interkulturelle Gärten, Internationale Gärten oder Nachbarschaftsgärten. Die Schwerpunkte der Gartenprojekte reichen von der Entwicklung interkultureller
Methoden in der Umweltbildungsarbeit über die therapeutische Arbeit mit traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen bis hin zum Aufbau von Kleinstunternehmen im Bereich Gartenbau und Catering. Einen Überblick über das breite Spektrum der Gemeinschaftsgärten in Österreich, Deutschland und in der Schweiz geben die Websites http://www.gartenpolylog.org/de/3,
http://anstiftung-ertomis.de/urbanegaerten und http://www.interkulturellegaerten.ch/.

Allen Gemeinschaftsgärten gemeinsam sind die vertraglich geregelte Nutzung der Nutzfläche sowie die Aufteilung des Grundstücks in Beete für den individuellen Anbau, die von Einzelpersonen oder Familien bewirtschaftet werden, und in Gemeinschaftsflächen für gemeinsame Aktivitäten. Diese Gemeinschaftsflächen sind in den meisten Fällen auch für Personen, die sich nicht im Garten engagieren, zugänglich. Unterschiede gibt es bei den Organisationsformen. Auch wenn sich jüngere Gärten vor allem in Deutschland und in Österreich am
Modell der basisdemokratisch organisierten Internationalen Gärten Göttingen orientieren, so entwickeln sie dennoch jeweils ihre eigene Form. Das Spektrum reicht von der Gründung eines eigennützigen Vereins, über die Kooperation mit einem bestehenden Verein bis hin zum vorübergehenden Verzicht auf einen formell festgeschriebenen Rahmen.

Gemeinschaftsgärten als produktive Lernräume 

Urbane Gemeinschaftsgärten sind gleichzeitig Orte der Begegnung, des Kennenlernens, des Austauschs und der Erholung. Sie tragen zur Verschönerung sowie zur Verbesserung der
Lebensqualität eines Stadtviertels bei und sind auch wichtige produktive Lernräume. Die in den Gemeinschaftsgärten angebotenen Bildungsmaßnahmen werden für gewöhnlich von den GärtnerInnen selbst gestaltet und durchgeführt, methodische Vorgaben sind eher locker geregelt. Diese Vorgehensweise lässt, so garantiert Müller, „ein unmittelbares Erfahrungsfeld von gegenseitiger Befähigung und Förderung, die diverse Sprach-, Qualifikations- und (inter)kulturelle ‚Defizite‘ auflösen oder zumindest abschwächen“, entstehen. Aufgrund ihrer Beobachtungen in den Interkulturellen Gärten in Deutschland weiß Müller, dass folglich das Selbstbild der Zugewanderten positiv beeinflusst und gestärkt werde. Aus diesem Erfahrungsfeld treten manche aber nicht nur mit einem gestärkten Selbstbild hervor, sondern können sich auch für Arbeitsplätze qualifizieren.

Das Spektrum des Bildungsangebots ist sehr umfangreich und beinhaltet Sprach- und Alphabetisierungskurse, Seminare zu biologischem Gemüseanbau, Workshops zu Konservierungsmethoden und Subsistenztechniken, Kochkurse uvm. Besonders gefragt sind die Sprachund Alphabetisierungskurse. Denn durch das Erlernen der deutschen Sprache können sie Kontakt zu anderen Menschen (im Garten) knüpfen und sich mit ihnen austauschen. Vor allem für die Frauen im Garten bedeuten Alphabetisierungs- und Sprachkurse den Eintritt in eine neue Welt. Sie werden selbstständiger und selbstbewusster.

Gemeinschaftsgärten als Erfahrungs- und Begegnungsraum

Gemeinschaftsgärten sind besondere Orte der Begegnung und des Austausches. Sie sind Orte, an denen sich Menschen treffen, die vor allem eines gemeinsam haben: Sie alle schätzen
es, ein Stück Boden bewirtschaften zu können. Unterschiede in Herkunft, Kultur, Religion, Lebensweise oder Alter treten in diesen Gärten in den Hintergrund. Im Vordergrund steht das
Gemeinsame, das Verbindende.

Die Vielfalt in den Gemeinschaftsgärten wird von den GärtnerInnen als Bereicherung empfunden. Daher begegnen sie Neuem gegenüber offen und interessiert. Das bedeutet jedoch nicht,
dass in den Gärten Konflikte ausbleiben oder stets offen ausgetragen werden. Das gemeinsame Tun hat sich allerdings als heilsam für auftretende Differenzen gezeigt.

Durch das gemeinsame Gestalten des Gartens werden Austausch und Kommunikation untereinander gefördert. Auf diese Weise können die GärtnerInnen Interesse aneinander entwickeln
und Gemeinsamkeiten entdecken. Zudem erkennen sie, dass es zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Religion, Lebensweise und unterschiedlichen Alters Möglichkeiten des Anschlusses gibt. Sie lernen einander besser zu verstehen und erwerben die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Durch das Ausprobieren anderer Sichtweisen werden die TeilnehmerInnen befähigt, sich in  einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Sie können ein besseres Verständnis für andere Denkmuster und Verhaltensweisen entwickeln. Gemeinschaftsgärten werden somit zu einem bedeutenden Erfahrungs- und Begegnungsraum.

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