„Hundstage“ von Kerstin Simon

Ich schwöre, dass ich den Hund nicht vergiftet habe. Ich könnte sowas nicht. Aussetzen, warum nicht? Aber vergiften? Der Vorwurf traf mich hart. Zu hart, ich zog ins Arbeitszimmer um und lag wenig bequem auf den gestickten Kissen. Sie war mir böse.

Mein Umzug ins Arbeitszimmer nützte gar nichts. Ich hatte damit gerechnet, dass sie mich bald ins eheliche Bett zurückbitten würde. Aber nein! Sie war fest überzeugt, dass ich der Hundemörder sei, und wenn auch nicht aktiv, so wenigstens passiv. Ich fragte, was das heißen solle und sie sagte, du hast dir doch gewünscht, dass der Hund stirbt (es stimmte); dann schlussfolterte sie, dass der Hund noch leben könnte, wenn ich ihn mehr geliebt und folglich besser auf ihn aufgepasst hätte (das stimmte selbstredend nicht). Wenn es ihre und nicht meine Wohnung gewesen wäre, hätte sie mich rausgeschmissen. Das sagte sie nicht, aber ich wusste es. Es war gut gewesen, Gütertrennung zu vereinbaren. Meine Wohnung, ihre Lebensversicherung. Meine Katze, ihr Hund. Es ist besser, wenn die Verhältnisse klar sind.

Ich versuchte alles. Ich verhielt mich hündischer als der Hund je hätte sein können. Ich bot sogar an, das Hundebegräbnis zu bezahlen. Wussten Sie, dass es Hundefriedhöfe gibt? Mit allem Drum und Dran? Ich hatte das vorher nicht gewusst und auch nicht, was das kostet, aber Gott sei Dank ging sie auf den Vorschlag sowieso nicht ein, sie schlug vor, den Hund im Garten zu begraben. Sie war in Trauer. Am ersten Abend deckte sie sich mit der Hundedecke zu, den Napf durfte ich nicht spülen, geschweige denn wegstellen und ich sah sie tatsächlich stundenlang versonnen mit seinem Plastikknochen spielen. Da sagte ich mir, wer auch immer das Viech vergiftet hat, Gott sei ihm gnädig.

Ich war froh, dass er endlich verschwunden war, aber ich konnte ja nicht ahnen, was dann kam. Der Arzt, Mitglied des Tierschutzvereins, schrieb sie zwei Wochen krank. Wenn ich von der Arbeit kam, saß sie auf einem unserer Campingstühle vor dem Grab. Sie hatte ein Windlicht neben einen Strauß Rosen gestellt. Meistens zerknüllte sie ein Taschentuch. Ich fand das übertrieben, aber ich nahm ihr sanft das Taschentuch aus der Hand und mimte Mitleid, was sollte ich tun? Am vierten Krankheitstag, wenn man das so sagen kann, zimmerte sie ein Holzkreuz.

Sie ruinierte dabei fast meine Stichsäge. Nachts saß sie weiter im Schein des Windlichts vor dem Hundegrab und zürnte mir. Ich fragte mich, wann das endlich aufhören würde und dann fragte ich sie, ob sie immer noch trauere und sie sagte, ja, der Hund sei ja auch immer noch tot, was ja keine Antwort ist, genau genommen.

Da fragte ich sie – einer Eingebung folgend – ob sie eigentlich um mich ähnlich trauern würde. Ob ich wohl auch ein Kreuz bekäme. Sie sagte nur, ein vergifteter Hund, das sei, das sei, sie rang nach Worten, das sei… die Leerstelle blieb und ich wusste genauso viel wie zuvor.

Und dann geschah etwas Seltsames. Ich begann, mich einsam zu fühlen und mir wurde klar, dass ich schon lange Platz zwei nach dem Hund eingenommen hatte und dass es mich … gestört hatte. Ich weinte plötzlich. Das half.

Ich hatte ja keine Ahnung, sagte sie. Ich presste noch ein paar Tränen hervor, schaden konnte es nicht, und sie sagte, von nun an solle ich wieder im Ehebett schlafen. Alles normalisierte sich. Und dann fehlte er mir tatsächlich. Normalerweise war abends in unser Schlafzimmer gehechelt und hatte meine Hand geleckt. Er war so ziemlich der Einzige, der mir so etwas wie Zuneigung entgegenbrachte. Ich hatte ihn gewähren lassen, ich wusste ja nicht, wie es ohne ihn sein würde. Und jetzt das: Wenn der Hund noch da wäre! Wenn er noch… das berührte mich jetzt. Eines Abends weinte ich an ihrer Schulter um den Hund, da küsste sie mich anders als sonst und sagte unter Tränen, es täte ihr leid, mich verdächtigt zu haben, sie habe ja keine Ahnung gehabt.

Am nächsten Tag war die Katze tot. Sie lag zwischen den Dahliensträuchern und irgendjemand (ich nicht!) hatte sie … gemeuchelt. Sie können sich vorstellen, was dann kam. Ein zweites Kreuz (diesmal zimmerte ich es, ich wollte nicht nochmal eine neue Stichsäge anschaffen), ein weiteres Grab im Garten, laue Nächte mit einer Flasche Rotwein auf den Campingstühlen. Tränen. Ich muss zugeben, dass ich die Katze mehr vermisste als den Hund, aber das sagte ich natürlich nicht. Jetzt strich niemand mehr um meine Beine und in meinem Schoß fehlte beim Tatort die Wärme und die kleine Pfote, die meinem Oberarm liebkost hatte. Ja, es stimmt, sie fehlte mir.

Aber Herrgott, sie war ein Tier und nach zwei Wochen Campingstuhl kam mir das alles albern vor. Ich beschloss, den Garten wieder gegen meinen Fernsehstuhl einzutauschen. Alles muss einmal ein Ende haben. Oder?

Als der Nachbar fragte, ob das jetzt eine Serie sei, ob es mit dem Kanarienvogel weitergehe (wir hatten keinen) und ob das jetzt Vorübungen zur Beseitigung des Gatten gewesen seien, fragte ich ihn, ob er noch alle Tassen im Schrank hätte.

Aber schlafen konnte ich nicht mehr. Ihre Blicke! Beim Tatort sah sie mich von der Seite an, das sah ich aus den Augenwinkeln und einmal stand sie auf und mixte uns einen Cocktail. Ich bekam keinen Schluck runter.

Nachts lag ich lange wach.


Kerstin Antje Simon, geboren am 08.04.1964 in Andernach/Rheinland-Pfalz, absolvierte ein Studium und die Ausbildung zur Lehrerin an der Universität Regensburg und unterrichtete in Ismir (Türkei) mehrere Jahre in Deutsch als Fremdsprache an einem türkischen Gymnasium. Wieder in Deutschland lehrte sie Deutsch, Deutsch als Zweitsprache und Praktische Philosophie an verschiedenen Schulformen in NRW.
Weitere Schwerpunkte: Psychodrama-Assistentenz, Systemischer Coach, Stellv. Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums in Köln, Leitung eines Schreibseminars, Ausbildung zur Psychodrama-Schreibtrainerin uvw.

Und zur Zeit…

  • hauptamtlich Unterricht und Beratung für Jugendliche und junge Erwachsene an einem Weiterbildungskolleg in Köln (www.ars-koeln.de), hier Projektarbeit „Kreatives Schreiben“ mit den Studierenden
  • Nebentätigkeit als Schulcoach und Systemischer Coach (www.sichtwechseln.de)
  • Autorin für die Kölner Literaturzeitschrift „KLiteratur“ (https://kliteratur.de) und dem Projekt „Literarischer Adventskalender“ des Kölner Literaturhauses https://www.youtube.com/watch?v=PZML_-aOCLg
  • Tätigkeit als Schulentwicklungsberaterin und Beraterin für Interkulturelle Schulentwicklung
  • Tätigkeit als Moderatorin in der Lehrerfortbildung zum Thema: Deutsch als Zweitsprache
  • Leiterin von Kursen zum Kreativen Schreiben; verschiedene Themen
  • 2022: 3. Platz beim Literaturwettbewerb des Schreibzentrums Wien
  • Veröffentlichung von Texten bei WordPress: www.woerterleuchten.wordpress.com

Foto: Sebastian Grayer

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