„Sorry is the hardest word…“ von Susanne Axmann

 

Sie lässt einen Brief zurück. Ihre Sprachlosigkeit hat fast schon die Schreibhand erfasst. Der Brief ist kurz. Sie könne jetzt nicht mehr;
es wäre besser wenn;
bitte alleine lassen.
Und: Das ist kein Verlassen, sondern nur…
Bitte versteh.
Nein, besser kein „Bitte“.

Sie packt den kleinen Koffer mit dem Notwendigsten. Was vom Inhalt des Koffers soll -bitte- ihre Not wenden? Die Unterhosen?
Na schau, Sarkasmus funktioniert noch.
Nötiges, das wäre das bessere Wort. Sie fühlt sich genötigt, von den circumstances.
F***, manchmal rutscht ihr total affig, und sie weiß es, wieder das Englische heraus.

Diese Umstände, in die er sie gebracht hat. Nein, nicht diese, nicht sie in diese anderen Umstände, sondern die andere. Shit, das musste ihr passieren. Und der anderen. Passiert doch immer nur den anderen.

Umständlich, das kann er gut. Aber diesmal ist er total straight, einfach durchmarschiert wie mit Stahlkappenstiefeln. Alter Trottel. Hat alles zielstrebig zertreten und besonders in ihr etwas sehr kaputt gemacht. So flach getreten, dass sie, und – das war ihr noch nie passiert – sich nicht mehr schützen konnte.
Der Koffer sagt: „Sei nicht selbstmitleidig.“
Der Koffer sagt: „Vergiss die Lockenwickler nicht.“
Der Koffer vergisst zu sagen:
„Vergiss dein Medikament nicht.“

Also zur Apotheke, ohne Rezept, mit – wie gelernt – zusammengezogenen Schulterblättern zwex Aufrichtung.
Leider nein.
Natürlich kann ich es nachbringen.
Nein, ich kann jetzt nicht nach Hause um es zu holen. Nein, meine Ärztin ist nicht da sonst hätte ich…
Endlich kapiert die Apothekertante.
Na also, geht ja.
Danke.
Aufrecht hinaus.
Auch das geht, na schau.

Beinahe hätte die Schwäche in der Apotheke sie noch flacher gemacht. Erst beim Einsteigen ins Auto flammt ein wenig Zorn auf. Das Gaspedal weiß noch nichts davon.
Sie fährt ins Kloster. Nicht so ein Schweige-Rückzug-wenn sie ein Gespräch wünschen-Ding. Eher ein Hotelkloster mit Zimmer und Frühstück und gerne auch Abendessen. Um diese Zeit vor allem alte Ehepaare. Das hat ihr noch gefehlt.

Blick auf den See. Sie packt die gelbe Wolle aus. Will ein Jäckchen für ihr Enkelkind stricken, das ist gerade fünf Zentimeter groß. Oder sollte sie vielleicht eines für ihr… wie hieße der Verwandtschaftsgrad dann?
Ein scharfer Schnitt ins Herz.

Sie hat Bücher, feste Schuhe und sonst keine guten Vorsätze mit.
Es ist kälter als gedacht. Irgendwie hatte sie die Idee von im Garten sitzen gehabt, auf den See schauen und zusehen, wie die Seele heilt. Aber es ist März und der See hat noch diesen eisigen Schimmer. So sitzt sie mit ihrer Decke unter den Arkaden im Hof und rutscht viertelstündlich der Wärme nach, wie ein eingewickelter Sonnenuhrzeiger.

Das Jäckchen will nicht anfangen.
Hat es Zueignungsprobleme?
Ist das vielleicht die Rundstricknadel, die da im Herzen herum bohrt?
Schau, Ironie geht auch noch, aber schlecht.

Sie packt die Wanderschuhe aus, geht eigentlich nicht so gerne, ist eher der Kreuzworträtseltyp. Sie nimmt den Pilgerpfadplan zur Hand. Die Rezeptionistin sagt freundlich, das ist der leichteste.

Dann geht sie. Durch die Wiesen geht sie, unter den Apfelbäumen geht sie, durch die Allee, zum See, den Weg durch das Schilf geht sie. Schaut in die trockenen Birken. Geht wieder zurück. Und noch einmal den ganzen Weg und wieder zurück.
Jeden Tag.
Vor dem Frühstück.
Nach dem Mittagessen und, wie im Pilgerhandbuch empfohlen, auch abends.
Es wirkt – leider nicht.

Das Kloster hat ihr etwas versprochen, doch dieses Flache ist noch immer da. Es wird immer lauter, hässlicher, giftiger. Es stellt sich auf, stemmt die Arme in die Taille. Lacht hämisch.
In der Rezeption steckt ein Brief von ihm.

Sie zahlt, wirft alles in den Koffer – nein, nicht alles – vergisst ihr Medikament im Zimmer.
Das Auto am Parkplatz wirkt überrascht.

Vor dem Zuhaus-Haus knistert es. Er muss sie gehört haben. Reue sieht anders aus. Wie immer steht sein SUV fast mittig im Carport, sie quetscht sich aus ihrem Auto, der Koffer klemmt, fremdelt und macht Spuren im Kiesweg. Sie macht sich keine Illusionen, er wird nicht um Verzeihung bitten.
Das Vorzimmer hat manchmal etwas vor, diesmal steht er dort, lässt die Arme hängen, sagt „Grüß dich“.
„Und?“, fragt sie.
„Aus“, sagt er.
„Und?“, fragt sie.
„Ich habe dir einen neuen Rasenmäher gekauft.“

 


 

Susanne Axmann ist 1948 in Wien geboren und studierte an der Universität für Angewandte Kunst. Sie ist Trainerin der Biografiearbeit, Schreibpädagogin und leitet seit elf Jahren eigene Schreibwerkstätten. Sie war verantwortlich für das EU-Projekt „Hitten arts – Kunst in europäischen Gefängnissen“ und arbeitet mit Kreativtools in der Erwachsenenbildung, vorwiegend mit Randgruppen. 2015, 2019 und 2021 erhielt sie Preise des Kärntner Lyrikwettbewerbs. Darüber hinaus ist sie seit 15 Jahren bei der Kärntner Kinderkrebshilfe und vielen weiteren sozialen Projekten ehrenamtlich tätig.  

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