Ein künstlerischer Zugang zu erlebter Geschichte
Erscheinungsdatum: 03.06.2019
Auf welch vielfältige Art und Weise Ortsgeschichte erlebbar gestaltet werden kann, wurde bei der Landestagung des Kärntner Bildungswerks 2019 bereits versucht, auszugsweise darzustellen. Einen völlig anderen Zugang, der über die Präsentationen der Tagung hinausgeht, könnte ein künstlerischer sein.
Entdeckt wurde dieser Zugang bei einer Veranstaltung des Vereins „Slam if you can“ in Klagenfurt, der sogenannte „Poetry Slams“, also Dichterwettbewerbe, veranstaltet. Tara Meister war eine der „Slammerinnen“, die sich bei der Österreichischen Meisterschaft 2018 mit ihrem Text „Apfelbaum“ dem Publikum stellte. Dieser beinhaltet Aspekte des Aufwachsens, Weggehens, Heimkommens uns somit eine ganz individuelle und subjektive Wahrnehmung der eigenen (Orts-)Geschichte. Er soll Beispiel einer künstlerischen und sehr emotionsvollen Herangehensweise bzw. Präsentation mit Interpretationsspielraum gesammelter Daten sein, denn: Geschichte (und hier vor allem die der eigenen Heimat) ist immer ein Stück weit die Verbindung von Erinnerung mit Emotion.
Tara Meister ist die Älteste von fünf Schwestern und hat bereits drei Jugendromane im BKV-Verlag veröffentlicht, die jeweils auf der Leipziger Buchmesse präsentiert worden sind. Seitdem hat sie unterschiedliche literarische Formen ausprobiert, war im vergangenen Oktober bei den Österreichischen Poetry-Slam Meisterschaften dabei, hat mittlerweile ihr erstes Theaterstück entworfen und schreibt nun wieder an einem Roman. Außerdem studiert sie im zweiten Jahr Medizin an der Medizinischen Universität Wien.
Apfelbaum
Tara Meister
Ich halt den Gartentürknauf in meiner Hand
und irgendwie ist meine Hand zu klein,
um ihn völlig zu umschließen,
ich dachte, sie wär größer.
Blätter über unsren Köpfen, die sich,
langsam müde, färben, leise flüstern,
verhalten knistern, sie sprechen über
dich und mich.
Den Blick gesenkt,
versuche ich die Blätter auszublenden,
erinnre mich,
wie der Baum im Frühling blühte,
ein helles Kleid,
naiv, verspielt und wie ich
eine von den Blüten war.
Die lachte über was, nicht lebendig schien,
wie ich und tanzte auf dem Boden,
der mich nährte,
von den Älteren bestellt,
nackte Füße, helles Kleid,
um den Stamm des Baumes wirbelnd
wie um einen schönen Mann.
Jetzt seh ich meine Haut,
wie seine Rinde rau und trocken,
und wir beide stöhnen leise
unter langer Jahre Last.
Ich gieße jeden Tag die Blumen und dennoch
wird es Herbst.
Du nickst, schenkst mir Tee ein.
Und ich wundere mich, dass er kalt ist.
Weil mir scheint,
er wäre eben noch zu heiß gewesen.
Von den Bergen fallen Schatten,
legen sich auf das Gartentor und mich
und ich frage dich,
ob es die Berge waren,
die uns all die Jahre lang beschützten.
Die Berge, in die hineingeboren
wir unser Leben betteten,
wie starke Männer in den Himmel ragend,
schienen ihre Rücken uns abzuschirmen
von dem Unglück dieser Welt.
Nach den Blüten kamen Äpfel.
Hart, dann rot, dann süß.
Hab sie für dich gezuckert,
sie nach dir geworfen
und alle Äpfel aufgegessen
mitsamt den Kernen.
Hab der Schlange meine
Zunge rausgestreckt.
Süße Sommer.
Manchmal wollte ich mehr als das,
was ich, mich bückend,
auf dem Boden fand.
Ich seh mich diesen Stamm dort packen,
ihn schütteln, an den Ästen rüttelnd.
Wollte all die Äpfel, die er trug,
auf einmal haben.
Damit es sich zu erkennen geben würde,
was es zu erkennen gab.
Schickte dich, gepackt von Ungeduld,
hinaufzuklettern
und sie mir zu holn.
Doch ich lernte irgendwann
zu warten.
Sie kamen
von ganz allein.
In diesem Garten wird der Apfelbaum
noch lange nach uns stehen
und es soll nichts zu bedauern geben,
denn wir drei waren einander
eine Weile lang Begleiter.
Jetzt nur noch wir zwei.
Und bleiben wird der Baum.
Ich frage dich,
ob es nicht vielleicht die Berge waren,
die uns versteckten vor der Welt.
Die vor uns so viel verbargen,
dass unsere Welt hier klein geblieben ist.
Wie starke Männer, in den Himmel ragend,
die uns hier gefangen hielten.
Uns, die wir nicht weit von dem Stamm
des Apfelbaums gefallen waren und dort
liegen geblieben sind.
Morgens find ich all das Elend dieser Welt
in meinem Briefkasten,
trag es ins Haus, schließe die Tür.
Lese
Blatt um Blatt.
Blätter fallen zwischen Holzscheite,
Krisen knistern in meinem Ofen, flüstern.
Warmes Feuer, Rauch steigt auf
aus dem Schornstein,
höher auf als Haus und Baum.
Niemals höher als die Berge.
Ich bin wohl nicht die Einzige,
die schlecht hört, schlecht sieht.
Doch es müssen andere sein,
die sprechen
auf den Bühnen dieser Welt.
Tief verwurzelt war es nicht leicht
aufzuspringen.
Wir werden alle hinterlassen,
was wir pflanzten,
und sei es nur ein Apfelbaum.
Du und ich,
wir sitzen an den Stamm gelehnt,
den ich einst hinaufgeklettert bin.
Noch bevor die Blüten kamen
und ohne zu wissen, wie Äpfel schmeckten,
ohne zu wissen,
dass Äpfel fielen und verfaulten.
Ich frage:
War das hier nun das Paradies?
Und wische über Flecken kalten Tees
auf meinem Rock.
Die Blätter sind nun nicht mehr grün
und lassen sich nacheinander fallen
in den Wind,
voller Vertrauen.
Kein Abschied ist so prächtig
wie der Herbst,
der brennt in seinem Lebewohl.
Jedes Mal schöner als die Erinnerung
daran.
Ich blicke zu dem Stamm hinüber
du lehnst dort lange schon nicht mehr,
und zwischen Baum und dir
steh ich am Gartentor
und lächle
bei der Erinnerung daran,
wie wir blühten
alle drei.
Dann öffne ich das Tor
und sehe auf zu jenen Bergen,
vergebe ihnen.