Brüssel & die EU – ein Reisebericht

von Hanna Wiedenig

*** Fotos am Ende des Berichts ***

Das internationale Flair bezaubert. Die Stadt ist bunt, Menschen aller Hautschattierungen, in jeglichem Outfit sind zu sehen. Einerseits ist das koloniale Erbe sichtbar, andererseits ist Brüssel eine Weltstadt, der politische Nabel Europas. Aber der Reihe nach.

Im Juli begab sich eine interessierte Gruppe aus ganz Österreich gemeinsam mit dem Ring Österreichischer Bildungswerke nach Brüssel, um die EU-Politik live zu erleben und politische Institionen und Prozesse in der Europäischen Union kennenzulernen.

Die Anreise erfolgte nachhaltig mit dem Nachtzug über 15 Stunden – nein, 16,5 Stunden, denn auch wir kennen nun die Verspätung der Bahn. Die erste Herausforderung war dann der Erwerb eines mehrfach gültigen Tickets für die örtlichen Öffis. Unsere erfahrene Gruppenführung stand uns zur Seite und wir waren erleichtert, viersprachige Automaten vorzufinden. Deutsch ist aufgrund einer Minderheit im Land eine der offiziellen Landessprachen.

Die Räder unserer Koffer hielten erstaunlicherweise tapfer dem groben Kopfsteinpflaster stand. Die wunderbaren, historischen Gebäude der Altstadt ziehen den Blick nach oben, dennoch ist es empfehlenswert, auch dem Boden Aufmerksamkeit zu schenken. Immer wieder fehlen große Pflastersteine, man stolpert über unregelmäßige Gehsteigführung, grobe Unebenheiten und Rillen sind gefährliche Fallen. Gehbehinderte Personen, Rollstuhlfahrer:innen, Radfahrer:innen und Scooterflitzer haben es in Brüssels Altstadtkern nicht leicht. Unser Hotel liegt in unmittelbarer Nähe zum Grand Place – dem Grote Markt – mit den berühmten Prachtbauten der Zünfte. Einfach toll!

Einige von uns kamen einen Tag vor dem offiziellen Programm an. Wir machen uns zu dritt auf Erkundungstour, Atmosphäre aufnehmen. Bei dem breiten kulinarischen Angebot der Küchen dieser Welt sind wir in einem sehr guten syrischen Lokal gelandet. Den Besitzer haben wir mit unserem fröhlichen Gelächter angenehm überrascht: „Ihr sprecht doch deutsch, die Deutschen sind doch sonst immer ernst!“ Wir freuten uns, dass Österreich positiv auffiel.

Das Atomium – ein Symbol der Weltausstellung 1958

Am nächsten Vormittag waren wir wieder als kleines Grüppchen auf unterwegs: Atomium hieß das Ziel. Wir waren erstaunt zu hören, dass es bei diesem Symbol der Weltausstellung 1958 darum ging, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu propagieren. Der Name ist eine Kombination aus Atom + Aluminium, dem Baumaterial der Kugelhüllen. Diverse Ausstellungen sind in den Kugeln untergebracht, natürlich zur Konstruktion des Gebildes, zur Weltausstellung selbst, zu Gebäuden diverser EXPOs, die über den Globus verteilt entweder eine sinnvolle Nachnutzung erhielten oder als „lost places“ endeten. Licht- und Klanginstallationen wirken magisch, eine Aussichtsebene in der obersten Kugel informativ. Das Restaurant darüber ermöglicht stilvolles Speisen. Für einen Besuch lohnt es sich, mehrere Stunden einzuplanen.

Das Parlamentarium – ein Museum zum Friedensprojekt EU

Am Nachmittag ging’s los mit dem EU-Fokus dieser Bildungsreise: das „Parlamentarium“, in räumlicher Nähe zum Europäischen Parlament, stand am Programm. Diese sehenswerte Ausstellung weitet bereits auf den ersten Quadratmetern den eigenen nationalen Horizont in kontinentale Dimensionen. Erzählungen über das Leben in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, historische Schlüsselereignisse aus allen Ländern von Finnland bis Spanien, von Ungarn bis Irland zeigen parallele Entwicklungen auf. Die Tatsache, dass der europäische Einigungsgedanke schon weit vor dem zweiten Weltkrieg viel diskutiert wurde, führen zu einem tieferen Verständnis, warum der Aspekt des „Friedensprojekts“ in Mittelpunkt der EU-Geschichte steht. Was hätte man mit viel Weitblick verhindern können!?

Mit der Historie der Europäischen Union – dem Ursprung, der Montan-Union und den einzelnen Erweiterungsschritten geht es weiter. Man erfährt viel über die Zusammensetzung des EU-Parlaments, elektronische Portraits der einzelnen Mandatare, ihre Fraktionszugehörigkeit und ihre Arbeitsfelder sind abrufbar; über aktuell diskutierte Themen kann abgestimmt werden und wer möchte, kann auch die eigene Meinung zur EU kundtun. Dieses interaktive Museum ist ein perfekter Auftakt für den Besuch der europäischen Institutionen.

Ein weiteres empfehlenswertes Museum ist das „Haus der Europäischen Geschichte“, in dem über sechs Stockwerke hinweg historische (Parallel-)Ereignisse auf eindrucksvolle, verständliche und interaktive Weise aufbereitet wurden. Eine perfekte Vertiefung für noch mehr Wissen rund um Europa!

Einblick in die EU-Institutionen

Am nächsten Tag galt es, Kondition zu beweisen. Wir statteten zunächst der ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel einen Besuch ab, eine Dame des Salzburger Länderbüros gesellte sich dazu. Ja, fast jedes österreichische Bundesland setzt zusätzlich auf eigene EU-Kontakte. Es wurde kompetent über das Zusammenwirken der EU-Institutionen informiert, die verwirrend ähnlich klingenden Bezeichnungen sortiert und die Aufgabenzuordnung geklärt. Offener Informationsaustausch auf allen hierarchischen Ebenen (Bundesland-Bundesministerien-EU-Parlament und Kommission) und ein von gegenseitiger Wertschätzung getragener Erfahrungsaustausch der einzelnen Staaten und Regionen bilden die Voraussetzung für die gesetzliche Gestaltung in der Union.

Bei der folgenden Führung im Parlament wurde uns klar vor Augen geführt, was die Alternative zu rechthaberischer, internationaler Machtpolitik bis hin zum Krieg bedeutet: verhandeln, verhandeln, verhandeln – in den thematischen Ausschüssen, innerhalb der Parlamentsfraktionen, mit der Kommission, den ständigen Vertretungen der Länder bis zu den Chefitäten der einzelnen Staaten, bei Sitzungen, den formellen und informellen Treffen, in den Kaffeepausen, in der Kantine – überall und permanent und das in mehreren Sprachen. Diplomatische Ausdauer ist gefragt! 19 Monate dauert eine durchschnittliche Gesetzwerdung.

Stadtführung & Stadtgeschichte

Nach so viel EU standen während der folgenden zweieinhalbstündigen Stadtführung nun endlich auch Belgien und dessen Hauptstadt Brüssel im Mittelpunkt. Wir erfuhren einiges über die konstitutionelle Monarchie, das belastete Erbe des belgischen Kolonialismus im Kongo, dass Brüssel drei Mal eine Weltausstellung ausrichtete und dass Belgien ein Brennpunkt der Comic-Kunst ist. Daher gibt es auch ein Comic-Museum und überall in der Innenstadt sind neben den historischen Gebäuden des Mittelalters und der Renaissance auch großflächige Comic-Zeichnungen (zum Beispiel von „Tim und Struppi“), vor allem auf den fensterlosen Feuerwänden zu bewundern.

Diskussion mit EU-Kommissar Johannes Hahn

Wir fühlten uns geehrt: am Folgetag nahm der österreichische EU-Kommissar Hahn sich mehr als eine Stunde Zeit für uns. Selbst lange Zeit Präsident des Rings der Österreichischen Bildungswerke weiß er das Engagement der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen und deren Multiplikatorenfunktion sehr zu schätzen. Er freute sich sichtlich über den Besuch aus seinem Heimatland.

Kommissar Hahn führte aus, wie wichtig es für eine Lösung ist, für konkrete Problemstellungen einzelner Länder, ähnliche Situationen in anderen europäischen Regionen zu suchen, Parallelitäten aufzuzeigen und Verbündete zu gewinnen. Gerade für ein kleines Land wie Österreich sei dies ein erfolgversprechender Weg der Mitgestaltung angesichts vieler grenzüberschreitender krisenhafter Entwicklungen.

Mein Fazit: eine klare Empfehlung!

Mein Fazit ist – trotz mühsamer Rückreise (der gebuchte Wagon im Nachtzug nach Hause war nicht vorhanden) – eine klare Empfehlung: wer die Chance hat, sollte Brüssel und die EU-Institutionen besuchen. Bei allen Führungen durch das EU-Viertel waren unsere vielen Fragen willkommen. Sie alle arbeiten mit hörbarem Engagement für uns, die europäische Bevölkerung. Die persönliche Erfahrung der erweiterten, europäischen Perspektive ist für uns Besucher:innen erhellend und prägt. Ob jemand die EU positiv oder skeptisch sieht, eines wurde klar: die Bedeutung für unser Zusammenleben kann gar nicht überschätzt werden. Über unsere zukünftige Lebensqualität wird durch intensive, gedeihliche europäische Zusammenarbeit entschieden.

Und übrigens: klar zu empfehlen sind auch die viel gerühmten belgischen Waffeln, die belgischen Pommes (das Spezielle daran ist, dass sie in Rinderfett frittiert werden) sowie natürlich die belgische Schokolade. Nicht nur der geistige Genuss, sondern auch der geschmackliche kommen also auf einer Studienfahrt mit dem Ring Österreichischer Bildungswerke nicht zu kurz!

Fotos (c) Doris Rottermanner, Kärntner Bildungswerk

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