Vulgarnamen – Kulturgut und Identitätsfaktor
Erscheinungsdatum: 2019 | Text: Alois Spitzer
Abschluss des Vulgarnamenprojekts
von Alois Spitzer
KulturSpiegel 2019 | 1 | 41. Jahrgang
Projektdauer: Herbst 2016 bis Februar 2019
Projektgemeinden: Albeck, Feldkirchen, Gnesau, Himmelberg, Ossiach, Reichenau, St. Urban, Steindorf, Steuerberg
Projektmitarbeiter*innen/helfer*innen: 119 Personen
Bearbeitete Adressen: 2.146
Hausbeschriftungen: 1.196
Veranstaltungen: 21 Auftakt- und Präsentationsveranstaltungen mit insgesamt ca. 3.000 TeilnehmerInnen und Teilnehmern
Fachliche Unterstützung: Joachim Eichert, Univ. Prof. Dr. Heinz Dieter Pohl, Landesarchivdirektor Dr. Wilhelm Wadl
Die Umsetzung des Projektes „Vulgarnamen in kärnten:mitte als Kulturgut und Identitätsfaktor“ wird im Rahmen des Österreichischen Programms für ländliche Entwicklung – Vorhabensart 19.2.1 gefördert. Der Förderbetrag in Höhe von € 4.453,60 setzt sich aus Mitteln von Bund, Land und der Europäischen Union zusammen.
Vor 2 1/2Jahren hat Bezirksobmann Alois Spitzer ein Projekt über die Vulgarnamen in der Region Kärnten Mitte begonnen, mit dem Ziel, die alten Hausnamen in zumindest sechs Gemeinden zu erheben, ihre Bedeutung und Herkunft zu klären und möglichst viele Vulgarnamenbesitzer dazu zu motivieren, ihre Namen an ihren Häusern sichtbar zu machen. Mit drei Präsentationsabenden in Feldkirchen hat das Projekt nunmehr seinen Abschluss gefunden, aber keineswegs die Beschäftigung mit dem Kulturgut Vulgarnamen.
Die Anregung zum Vulgarnamenprojekt ging von der Trachtengruppe Faakersee in St. Niklas aus, deren Obfrau Ria Riepl 2014 ein Vulgarnamenprojekt durchgeführt und bei Regionaltagungen des Bildungswerks vorgestellt hatte. Alois Spitzer war davon angetan, griff die Idee auf und entwickelte daraus ein großflächiges Projekt mit dem Ziel, die Vulgarnamen einer Region in das Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken und möglichst dauerhaft sichtbar zu machen. Um etwas mehr an Ressourcen zur Verfügung zu haben, wurde 2016 eine Projektförderung aus dem LEADER-Programm für die ländliche Entwicklung bei der Region Kärnten:Mitte eingereicht und genehmigt. Als Ziel hatte sich das Team um Alois Spitzer die Erhebung der Vulgarnamen von 6 Gemeinden vorgenommen.
Ein guter Plan ist das halbe Projekt
Schnell zeigte sich, dass es unterschiedliche Quellen und Publikationen gab, in denen der Bestand an Vulgarnamenzumindest eines Teils der Gemeinde zu einem bestimmten
Zeitpunkt dokumentiert sind. Doch auch Vulgarnamen änderen sich, entstehen neu und vergehen und so entstand rasch der Anspruch einen Gesamtüberblick für jede Gemeinde zu erstellen. Als Arbeitsgrundlage wurde eine Excelliste erstellt, in der nach den Katastralgemeinden der heutigen politischen Gemeinden und nach den Einlagezahlen geordnet alle wesentlichen Informationen zur den Liegenschaften mit Vulgarnamen einzutragen waren und zwar: Die Einlagezahl, die Parzellennummer aus dem Grundbuch, die Ortschaft, die Haus Nr., der Vulgarnamen laut Grundbuch von 1870, die aktuelle Parzellennummer, der aktuelle Vulgarnamen, der heutige Besitzer und die aktuelle Adresse. Alle diese Informationen sind notwendig, um eine gesicherte Identifikation der heutigen Häuser und ihrer Vulgarnamen vornehmen zu können. Die Umsetzung erfolgte mit Hilfe freiwilliger Helferinnen und Helfer, teilweise auch
aus Mitgliedsvereinen des Bildungswerks: Zunächst wurden die entsprechendne Seiten aus dem Grundbuch von 1870 fotografiert. Im nächsten Schritt wurden die Hausbesitzer
besucht und entlang der Datenliste die Angaben überprüft und ergänzt. Gleichzeitig wurden die Besitzer dazu motiviert, eine Vulgarnamentafel nach verschiedensten Mustern am Gebäude anzubringen. Zusätzlich wurde allen eine Urkunde mit einem fotografischen Auszug aus dem A-Blatt des Grundbuchs angeboten.
Die Gespräche über die Vulgarnamen wurde ngleichzeitig dazu benutzt, die Bedeutung der der Vulgarnamen ins Bewusstsein zu rücken, die ja eine kulturgeschichtlich interessante Quelle sind. Dafür stellten sich der Namensforscher Univ. Prof. Dr. Heinz-Dieter Pohl, Landesarchivdirektor Dr. Wilhelm Wadl und der „Familienforscher“ Joachim Eichert beratend zur Verfügung und lieferten viele interessante und manchmal auch erheiternde Informationen zu Herkunft und Bedeutung der Namen. So wurde klar, dass der „Ortner“ „beim Ort“ also am Ortsrand wohnt, der „Holzer“ am Waldrand, und der „Pirker“ sein Haus in der Nähe von Birken stehen hatte. Manchmal ist die Herkunft nicht eindeutig zu klären:
Der „Rappatsch“ stammt entweder vom Raben, oder aber vom Rappen, oder vom slowenischen Rupie – dem „Sohn des Rapp“. Viele Vulgarnamen waren von Vornamen eines Ahnen
abgeleitet („Lipp“ von Philipp; „Hiasl“ von Mathias), manche vom Rang oder Lage des Hofes (Moar von Maierhof, Moser von nahe dem Moos gelegen bzw. Flattnig oder Blatnik von slowenisch Blato=Sumpf, beim Sumpf wohnend; Pöllinger vom slowenischen poljana = ebene Fläche), vom Broterwerb („Weber“, „Schneider“), andere von der Herkunft („Krainer“ oder Boar für Bayer) oder auch von besonders ausgeprägten Eigenschaften eines Ahnen („Sumper“).
Über die Vulgarnamen zum Gespräch über die Familiengeschichte
Im Zuge des Projekts hat sich sehr schnell ein wichtiger „Nebeneffekt“ eingestellt: Die Besuche der ProjektmitarbeiterInnen bei den Vulgarnamensbesitzern wurden auch dazu
genutzt, nach alten Aufnahmen der Liegenschaft und der Familie, nach Geschichten und Anekdoten zu fragen. Und sehr oft kamen dabei wahrhaft kleine geschichtliche Kostbarkeiten
zum Vorschein. Ein Fülle von Fotogarfien, Ansichten und Dokumenten wurden fotografiert oder kopiert und wurden häufig zum Anlass ausführlicher Gespräche, andenen häufig mehrere Generationen der jeweiligen Familie beteiligt waren. Für das Projektteam und vor allem für Alois Spitzer bedeutete das zwar einen erheblichen Mehraufwand an Besuchen und Zeit, aber auch viele interessante und herzliche Stunden und die Erkenntnis, wie groß die Sehnsucht vieler Menschen nach der Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte ist. Alois Spitzer alleine hat im Zuge des Projektes ca. 1.800 (!) Familienbesuche absolviert, das sind über den gesamten Projektzeitraum von 2 1/2 Jahren durchschnittlich jeden Tag zwei Besuche. Und über
die alten Fotografien erschließt sich ein weites Feld an zusätzlichen Themen: die Veränderung der Gebäude, der Baumaterialien, der visuellen Gestaltungselemente, der Sauberkeit und des Glanzes, der Freizeitbereiche, das Verschwinden mancher Gebäude und die Entstehung neuer Siedlungen, die Veränderung der Wege und Straßen, die Veränderung der Bewirtschaftung
und damit des Landschaftsbildes, die Veränderungen bei den Menschen, ihrer Zahl pro Haushalt, ihrer Körpergröße, ihrer Kleidung, ihrer Statussymbole, ihrer Arbeit, die auf alten Aufnahmen häufig ein selbstverständlicher Teil des Bildes ist, die Veränderung selbst der Nutztiere, die viel mehr und größer geworden sind, dafür aber viel stärker getrennt von ihren
Besitzern, die kaum mehr mit Ihnen „zusammenarbeiten“ müssen.
Historische Fotowanderungen
Die alten Fotos und Ansichten wurden so zu einem Bestandteil des Vulgarnamenprojektes und ein Publikumshit bei den Abschlusspräsentationen in den Gemeinden. Dabei wurde
zunächst eine Bilanz über die Vulgarnamen gezogen, es wurden namenskundlich besonders interessante Beispiele erwähnt und den mitwirkenden Freiwilligen aus der Gemeinde
gedankt. Im 2. Teil der Abschlussabende wurde von Alois Spitzer eine historische Fotowanderung gestaltet, bei der alte Ansichten und Fotografien, kombiniert wurden mit Auszügen aus dem franziszeischen Kataster, aktuellen Fotografien, Geschichten über die Gebäude und ihre Bewohner, über das Arbeiten und Wirtschaften, über das Singen, Musizieren, Tanzen und Feiern, über verstorbene Persönlichkeiten und Originale, über denkwürdige Ereignisse, Naturkatastrophen und Schicksalsschläge. Auf diese Weise wurden die Abschlusspräsentationen zu ganz besonderen Abenden und zu einer Einladung an geschichtsinteressierte Personen, sich ebenfalls diesem Thema zu widmen.
Alois Spitzer, vulgo Stiegelschneider, im Gespräch
Lieber Alois Spitzer: Wie sieht die Bilanz nach fast drei Jahre Vulgarnamenprojekt aus?
Der wichtigste Antrieb war beim Start des Projektes für mich, dass die Vulgarnamen, die mir immer schon als etwas Besonderes vorgekommen sind nicht weiter in Vergessenheit geraten, sondern wieder etwas mehr Beachtung bekommen. Am liebsten wäre es mir, wenn sich die Menschen in unserem Bezirk wieder mit ihrem Vulgarnamen anreden würden, das wäre der
beste Beweis dafür, dass sie Teil der lebendigen Kultur unserer Zeit sind.
Was ist für Dich das Besondere an den Vulgarnamen?
Sie sind im Vergleich zu den amtlichen Familiennamen ein unverwechselbarer Ausdruck der Sprache unserer Region. Sie sind für Nichteinheimische und Nichtfachleute wahrscheinlich
weitestgehend unverständlich und haben teilweise einen ganz besonderen Klang, den ich geradezu poetisch finde. Wir sollten allerdings darauf achten, dass sie nicht auch für Einheimische unverständlich und fremd werden!
Noch einmal zurück zur Bilanz: Hast Du deine persönlichen Ziele erreicht?
Das Projekt hat mir vor allem gezeigt, wie viele interessante Dinge es noch zu entdecken gäbe und gleichzeitig wie viel Interesse die Bevölkerung an diesen Themen hat und zwar quer durch die Generationen. Insofern ist die Bilanz kein Schlussstrich, sondern vor allem Motivation, weiterzutun. Tatsächlich haben wir aber die Projektziele mehr als erreicht: Wir hatten uns sechs Gemeinden vorgenommen und haben schlußendlich neun bearbeitet. Wir haben in allen Gemeinden Mitstreiter gefunden, die einen Teil der jeweiligen Gemeinde bearbeitet haben. Wir haben bei den allermeisten Hausbesitzern eine offene Tür, viel Interesse für das Thema, teilweise Dankbarkeit für unsere Initiative vorgefunden. Es hat wunderbare Begegnungen mit hilfsbereiten Menschen gegeben, Fotoalben wurden hervorgeholt und gemeinsam durchgeblättert.
Manchmal sind von Opa bis zum Enkel alle am Tisch gesessen und haben teilwiese überhaupt zum ersten Mal über die Fotos gesprochen. Die Jüngeren haben Fragen gestellt, die Eltern und Großeltern haben erzählt.
Hast Du den Eindruck, dass ältere Menschen gerne über die „alten Zeiten“ erzählen?
Ja, wenn man Ihnen ehrliches Interesse entgegenbringt und sich Zeit nimmt. Ich habe ältere Personen in Altersheimen. besucht und ganz berührende Momente erlebt, wenn die Frauen und Männer ihre Lebensgeschichte, ihre Schicksale erzählten, immer wieder mit Tränen in den Augen. Oftmals haben diese dann auch beim Erzählen von lustigen Begebenheiten geglänzt.
Welche Fotos haben Dir die Menschen sonst noch gezeigt, was haben Sie erzählt?
Ich hab viele Fotos gezeogt bekommen und abfotografiert, die den vergangenen Alltag wiederspiegeln. Altes Handwerk oder landwirtschaftliche Arbeiten, ganz viele Fotos mit Gebäuden, alten Höfen, Huben und Keuschen, Getreidespeichern, Dörrhütten usw. die es heute oftmals nicht mehr gibt, die abgebrannt oder verfallen sind oder durch einen Neubau ersetzt wurden. Fotos vom Brauchtum und familiären Feiern aber auch von Trauerfällen und Begräbnissen aus vergangener Zeit, als Särge noch getragen oder mit dem Fuhrwerk transportiert im Leichenzug
zum kilometerweit entfernten Friedhof begleitet wurden.
Ist das Thema Vulgarnamen für Dich jetzt abgeschlossen, oder geht es weiter?
Es gibt Anfragen und konkrete Pläne für weitere Gemeinden in den Nachbarbezirken. In der Marktgemeinde Weitensfeld haben wir in Zusammenarbeit mit der Kulturgemeinschaft des
Kärntner Bildungswerks und Dieter Vogl bereits begonnen. Die Gemeinden Moosburg und Frauenstein möchten sich ebenfalls anschließen und bereiten bereits die Auftaktveranstaltungen
vor. Darüber hinaus würde es mich aber auch freuen, wenn das Thema Vulgarnamen und alte Fotos und Ansichten in den abgeschlossenen Gemeinden ein Thema blieben.
Europäische Kommission http://ec.europa.eu/agriculture/rural-development-2014-2020/index_de.htm
Fördergebende Bundesstelle: https://www.bmnt.gv.at/land/laendl_entwicklung.html
Land Kärnten: https://www.ktn.gv.at