Nachhaltigkeit ist eine Frage der Kultur

Erscheinungsdatum: 18.07.2019 | Text: Larissa Krainer

Nachhaltigkeit ist eine Frage der Kultur

von Larissa Krainer
KulturSpiegel 2014 | 4 | 36. Jahrgang

„Sie können den Computer jetzt wegwerfen“, suggerierte 2010 eine namhafte IT-Firma, um ihr neues Tablet zu vermarkten. Gute Geschäftsidee. Ist es aber wirklich sinnvoll, funktionierende Produkte einfach nach Lust und Laune auf den Müll zu schmeißen?

2009 berichtete die Süddeutsche Zeitung von einem US-Bundesstaat, in dem Wäscheleinen verpönt sind, weil sie als Zeichen für Armut gelten. Nur arme Menschen, so die Devise, hängen ihre Wäsche im Freien auf. Manche Gemeinden, die sogenannten „gated communities“ sind daher dazu übergegangen, Menschen, die dort hinziehen, eine Gemeindeordnung unterschreiben
zu lassen, die das Aufhängen von Wäsche im Freien untersagt. Denn, und damit zu einem befürchteten Folgeproblem, im Freien hängende Wäsche könnte andere Menschen davon abhalten, die teuren Grundstücke nebenan zu kaufen, ein Verfall der Grundstückspreise wäre die Folge. Was passiert aber, wenn wir das Wäschetrocknen im Freien verbieten? Die Amerikanische Antwort ist sonnenklar: In der Regel ist es nicht der Wäscheständer in der Wohnung, sondern der stromfressende Wäschetrockner. Das Phänomen betrifft aber nicht nur Amerika. Ähnliches wusste die Kärntner Tageszeitung über den Bürgermeister des französischen Dorfes Reillanne zu berichten, der das Aufhängen von Wäsche für eine „visuelle Belästigung“ hielt und es deshalb verboten hat. Was sagt uns das über unsere Kultur? Und was über Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist zu einem schillernden Begriff, einem Modewort geworden und in aller Munde
– in der Alltagssprache wie im Wissenschaftsdiskurs. Leben wir aber bereits in einer Kultur der Nachhaltigkeit? Wohl eher nicht. Dazu einige hinführende und einige kritische Anmerkungen.

Entwicklung des Begriffs

Nachhaltigkeit wird häufig als ein Zielzustand beschrieben, nachhaltige Entwicklung als der Weg zu seiner Umsetzung. Die Debatte ist nicht neu und reicht (mindestens) zurück in das
Jahr 1972, als der Club of Rome eine Publikation über die „Grenzen des Wachstums“ vorlegte und damit eine bis heute anhaltende Nachhaltigkeitsdebatte auf politischer Ebene auslöste.
Im gleichen Jahr folgte die Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Zwanzig Jahre später legte die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) eine der bis heute meist zitierten Definitionen von „nachhaltiger Entwicklung“ vor und verstand darunter eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die
Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Hauff 1987, 46; WCED 1987, 43).

Gesucht ist seitdem eine Politikstrategie, die zumindest drei Grundprinzipien berücksichtigt: eine globale Perspektive, in der z. B. klimatische Zusammenhänge weltweit analysiert und betrachtet werden, die Verknüpfung von Umwelt- und Entwicklungsaspekten sowie die Realisierung von inter- wie intragenerationeller Gerechtigkeit (globale Ungleichheiten
sollen ebenso ausgeglichen werden wie soziale Ungleichheiten in den einzelnen Ländern). Im Wesentlichen ist damit ein Kompromiss von ökologischen, ökonomischen und sozialen
Interessen angesprochen. 1998 formuliert die Enquête-Kommission „Schutz des Menschen in der Umwelt“ des 13. Deutschen Bundestages: „Aufgrund der komplexen Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen […] Ökonomie, Ökologie und Sozialem müssen sie integrativ betrachtet werden“ (Abschlussbericht 1998, 18) – eine Sichtweise, die als das „Drei-Säulen-Modell“ der Nachhaltigkeit populär wurde.

In der Folge wurden zusätzliche Perspektiven aufgegriffen, die deutsche Helmholtz-Gemeinschaft hat „Indikatoren zur Operationalisierung des Nachhaltigkeitsleitbildes“ entwickelt
(Kopfmüller u.a. 2001, 317), um auch Möglichkeiten der Messung und letztliche Beurteilung zur Verfügung zu stellen. Andererseits hat eine Debatte um starke und schwache Nachhaltigkeit begonnen, in der es um die Frage geht, ob es möglich ist, z. B. Naturressourcen beliebig zu verbrauchen und darauf zu hoffen, sie durch andere „Kapitalien“, die in ökonomischen
Theorien unterschieden werden (Sach-, Natur-, kultiviertes Natur-, Human-, Sozial- und Wissenskapital), zu ersetzen. Das unterstellen etwa ökonomische Theorien, Nachhaltigkeitsforscher
bestreiten dies hingegen (z. B. Ott/Döring 2004/2008, 132).

Das Drei-Säulen-Modell wurde aber auch mehrfach kritisiert. Erstens, weil zu beobachten ist, dass die drei Säulen nicht einfach nebeneinander zu betrachten sind, sondern ökologische, ökonomische und soziale Fragen immer in engem Zusammenhang miteinander stehen. Zweitens, weil sie auch nicht so einfach miteinander zu harmonisieren sind: Was für die Wirtschaft gut ist (z. B. Gewinnmaximierung), muss nicht der Umwelt dienlich sein (z. B. Ausbeutung von nicht erneuerbaren Naturressourcen) und muss auch nicht unbedingt in sozialer Hinsicht sinnvoll sein (z. B. Massenkündigungen). Drittens, weil die drei Säulen nicht als ausreichend betrachtet und daher weitere vorgeschlagen wurden, wie etwa Politik oder Kultur. Unabhängig davon, ob das Modell in drei, vier oder fünf Dimensionen gedacht wird, die es für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung zu berücksichtigen gilt, stellt sich aus meiner Perspektive eine noch viel grundlegendere Frage: Wie erkennen wir eigentlich, ob wir in einer Kultur leben, die Nachhaltigkeit fördert, oder auch behindert? Dieser Frage gehen ForscherInnen am Institut für
Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit an der Alpen-Adria- Universität Klagenfurt nach.

Was ist eine Kultur der Nachhaltigkeit?

Wir beschäftigen uns mit der Frage, welche Muster sich in unserer Kultur beschreiben lassen, die sich als nachhaltig oder eben nicht nachhaltig im Sinne der beschriebenen Zielsetzung begreifen lassen und versuchen solche aufzudenken, zu reflektieren und zu hinterfragen. Beispiele dafür wurden bereits mit der Tablet-Werbung oder der Wäscheleine gegeben. Solche Muster finden sich häufig in modernen Mottos und Slogans wieder.

„Das Neue ist das Gute“ 

Dabei sind zunächst einmal Widersprüche bemerkbar. Unser Wirtschaftssystem, das zweifelsohne viele Vorteile in sich birgt und einen wichtigen Baustein für gesellschaftlichen
Wohlstand und soziale Sicherheit darstellt, hat auch seine Schattenseiten. Es ist in seiner inneren Logik auf steten Fortschritt, auf potenziell unendliche Entwicklung und permanentes
Wachstum ausgelegt. Das führt zwar zur Möglichkeit, Gewinne zu steigern und diese auch Zwecken der Nachhaltigkeit zuzuführen, es führt aber auch dazu, dass wir einer permanenten
Konsumforderung unterliegen, die uns mehr oder minder unterschwellig wissen lässt: „Das Neue ist das Gute – geht und kauft es!“ Das Alte, das Bestehende, wird zugleich abgewertet, zum
Wegwerfprodukt erklärt – selbst wenn es noch einwandfrei funktioniert oder repariert werden könnte. Die Folge sind gleich mehrere Probleme, die Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung negativ tangieren.

Aus ökologischer Perspektive ist anzumerken, dass fast alle Kommunikationstechnologien wertvolle Rohstoffe beinhalten, etwa Edelmetalle (wie Gold und Silber), Metalle (wie Indium und Tantal) oder sogenannte Seltene Erden, also begrenzte Rohstoffe (wie Thulium und Lutetium). Und selbst wenn sich auch in unseren Breiten bei weitem nicht alle Menschen die neuesten Technologien leisten können, so sind es immer noch  sehr viele, die ihre alten Produkte, die ja zumeist noch tadellos funktionieren, einfach wegwerfen. Wir produzieren also Elektroschrott en masse.

In einer globalen Dimension ist zu bedenken, dass Menschen, die etwa in den so genannten Entwicklungsländern leben, über solche Technologien zwar bislang nur seltener oder noch gar nicht verfügen, das bedeutet aber natürlich nicht, dass sie diese nicht auch haben wollten – wieso auch nicht? Natürlich wäre es im Sinne der Nachhaltigkeit besser, wenn sie darauf verzichten würden. Ich bezweifle aber, dass gerade wir in der moralischen Position sind, einen solchen Vorschlag zu machen. Die Vorstellung, die Weltgesellschaft technologisch
zu vernetzen, bietet unglaubliche politische Chancen (auch Risken), sie  stellt aber jedenfalls eine enorme Herausforderung im Thema der Nachhaltigkeit dar.

Das bestehende Wirtschaftsmodell ist auch nicht von sich aus auf das Teilen oder die gemeinsame Nutzung von Produkten aus, auch wenn sich darin inzwischen sowohl eine  beachtenswerte) neue kulturelle Bewegung als auch ein Wirtschaftszweig erkennen lassen („Sharing economy“).

Zeit ist Geld 

Ein anderes Motto, das unsere Kultur geprägt hat, heißt „Zeit ist Geld“ – demzufolge gewinnt, wer schneller (als die Konkurrenz) ist oder wer mehr Arbeit, mehr Leistung in weniger Zeit erledigen, erbringen kann. Daher haben wir gelernt, schnell zu sein. Was immer wir tun, wir versuchen es heute schnell zu erledigen, meistens schneller, als wir es je zuvor getan haben. Unsere Produktion ist schneller geworden (am Markt gewinnt immer derjenige, der ein Produkt als erster präsentiert), unser Verkehrssystem ist schneller geworden und unser Kommunikationssystem erst recht. Das hat unbestritten Vorteile, es hat aber auch Nachteile. „Speed kills”, heißt es ja beispielsweise. Ein Problem, das ich im Kontext der Nachhaltigkeit sehe, ist, dass wir kaum noch Zeit haben, die Folgen unserer technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung zu reflektieren und zu beurteilen. Das Ergebnis: Wir leben in einer Beschleunigungsgesellschaft, allesamt zunehmend getrieben von der Erfüllung bestimmter Leistungen in immer kürzer werdenden Fristen. Kulturkrankheiten, die dieses Phänomen
begleiten, heißen etwa „burn out“.

Auf dem Weg zu einer Kultur der Nachhaltigkeit

Solange wir in kulturellen Mustern und kulturellen Praktiken verhaftet sind und bleiben, die insgesamt noch wenig reflektiert und kritisiert sind, wird sich in Sachen nachhaltiger Entwicklung auch nur wenig ändern, sieht man einmal von eher kosmetischen Maßnahmen (green washing) ab. Die Frage ist also, wie es gelingen kann, einen Kulturwandel kollektiv
zu gestalten, der einen Übergang zu einer Kultur der Nachhaltigkeit als dominanter Gesellschaftskultur ermöglicht. Potentiale dafür sind sowohl vorhanden als auch sichtbar. Dabei lassen sich verschiedene Wege unterscheiden, die abschließend kurz skizziert werden sollen. Auf der ersten Stufe geht es um Maßnahmen, die innerhalb des bestehenden Modells gesetzt werden können, ohne dieses selbst verändern oder kritisieren zu müssen (systemimmanente Lösungen). Dazu zählt etwa die Reduktion des CO2-Ausstoßes bei Autos, ohne das Autofahren aufzugeben.

Auf einer zweiten Stufe geht es darum, die inneren Logiken und äußeren Grenzen des bestehenden Modells kritisch zu reflektieren und gelegentlich auch zu überwinden. Dazu zählen etwa die Debatten über das Grundeinkommen, den fairen Handel, Sharing- oder Leihsysteme. Auf der dritten Stufe geht es schließlich darum, die innere Logik des Sytems selbst zu hinterfragen. Systemimmanente Veränderungen können zwar partiell zur Verbesserung des Status Quo beitragen, sind aber nicht hinreichend, wenn ganze Gesellschaften sich einer Kultur der  Nachhaltigkeit verschreiben sollen. Autos zu fahren, die weniger Gifte ausscheiden, verbessert die Klimabilanz, wird aber vermutlich nicht ausreichend sein. Güter zu teilen, anstatt sie alle selbst besitzen zu wollen, ist im Sinne der Nachhaltigkeit ein sinnvoller  Gedanke, er führt aber noch nicht notwendig dazu, dass wir hinterfragen, ob wir überhaupt so viele verschiedene
Güter brauchen und haben wollen. Das System als Ganzes in Frage stellen zu wollen, ist freilich gewagt und auch nicht ganz ungefährlich. Es ermöglicht aber immerhin, sich bewusst für die eine oder andere Kultur im Umgang mit Nachhaltigkeit zu entscheiden und davon auszugehen, dass Kultur nicht in uns festgeschrieben, sondern prinzipiell wandelbar ist.

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